Details zur grundlegenden Rechtsprechungsänderung des BGH ( Urt.v. 12.10.2016- VIII ZR 103/15) zur Beweislastumkehr des § 476 BGB:
Der BGH hat in Anlehnung an die Entscheidung des EUGH vom 04.06.2015 (C-497/13, NJW 2015,2237) die ohnehin schon zu Lasten des KFZ- Händlers wirkende Vermutung des § 476 BGB bis an die Grenze einer Haltbarkeitsgarantie ausgeweitet. Gemäß § 476 BGB wird vermutet, dass ein Sachmangel bereits zum Zeitpunkt der Übergabe vorgelegen hat, wenn sich dieser innerhalb von sechs Monaten seit Übergabe des Fahrzeugs zeigt. Dennoch trifft grundsätzlich den Käufer im ersten Schritt die Pflicht zum Nachweis des Sachmangels. Falls ihm dieser Nachweis gelingt, greift im zweiten Schritt die Vermutungswirkung ein.
Die Entscheidung setzt sich mit der Reichweite dieser gesetzlichen Vermutung auseinander und begründet neue Vorgaben für die Praxis.
Der Entscheidung lag einer der häufigsten Sachverhalte in der Gewährleistungspraxis zugrunde:
Der Kläger erwarb von der beklagten KFZ-Händlerin einen gebrauchten BMW 525d Touring. Zum Zeitpunkt der Übergabe lag unstreitig noch kein nach außen in Erscheinung tretender Mangel vor. Allerdings zeigte sich fünf Monate nach Übergabe des Fahrzeugs und weiteren 13.000 gefahrenen Kilometern eine spürbare Funktionsbeeinträchtigung. Die Automatikschaltung des Fahrzeugs ließ sich in der Einstellung „D“ nicht mehr in den Leerlauf schalten. Der Defekt verhinderte ein Anfahren oder Rückwärtsfahren bei Steigungen. Daraufhin trat der Käufer nach erfolgloser Nachfristsetzung vom Kaufvertrag zurück und verlangte Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 16.200 Euro.
Zwei Vorinstanzen wiesen die Klage mit der Begründung ab, dass der Käufer nicht den ihm obliegenden Beweis geführt habe, dass das Fahrzeug bereits bei seiner Übergabe einen Sachmangel aufgewiesen habe. Denn im entscheidenden Fall kamen laut eingeholtem Sachverständigengutachten zwei Ursachen für den aufgetretenen Defekt in Frage.
Zum einen sei es möglich gewesen, dass die inzwischen eingetretene Schädigung des Freilaufs des hydrodynamischen Drehmomentwandlers schon zum Zeitpunkt der Übergabe mechanische Veränderungen aufgewiesen habe, die zum aufgetreten Defekt an der Automatikschaltung geführt haben.
Einen sicheren Nachweis hierfür konnte der Kläger allerdings nicht erbringen.
Zum anderen kam aber auch als weitere Ursache für den Defekt am Automatikgetriebe eine Überlastung des Freilaufs in Betracht, der auf einem Bedienungsfehler des Käufers zurückzuführen gewesen wäre.
In solchen Fällen, in denen für den aufgetretenen Mangel zwei Ursachen in Frage kamen und zwischen den Parteien unaufgeklärt blieb wessen Verhalten letztendlich zu dem Mangel führte, hat der BGH zwölf Jahre lang entschieden, dass diese Nichterweislichkeit zu Lasten des Käufers ging. Konsequenterweise griff die zeitliche Vermutungswirkung des § 476 BGB nicht ein und der Käufer blieb hinsichtlich des Sachmangels beweisfällig.
Diese Rechtsprechung konnte der BGH nicht mehr halten. Denn aus dem Grundsatz des Anwendungsvorrangs des Europarechts musste der BGH sich an der Rechtsansicht des Europäischen Gerichtshofs zur Auslegung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44/EG in Bezug auf die Vermutungswirkungen orientieren. Der Europäische Gerichtshof entschied bereits in der Vergangenheit immer sehr verbraucherfreundlich und legte alle gesetzlich manifestierten Wirkungen weit aus.
Diese weite Auslegung des EUGH führt nun auch zu deutlichen Erweiterungen des Anwendungsbereiches der Beweislastumkehr im deutschen Recht zugunsten des Verbrauchers.
Nach richtlinienkonformer Auslegung des § 476 BGB ergeben sich folgende Erweiterungen im Vergleich zur bisherigen Rechtsprechung:
1. Der Käufer muss von nun an weder darlegen noch beweisen, auf welche Ursache der später aufgetretene Defekt zurückzuführen ist.
2. Ferner muss er nicht darlegen, ob die Verursachung des Defekts auf einem Fehlverhalten des Verkäufers beruht.
3. Die Vermutungswirkung erstreckt sich nun pauschal auch darauf, dass der später aufgetretene Defekt, der unstreitig zum Zeitpunkt der Übergabe noch nicht vorhanden war, seine Ursache in einem angelegten Mangel („latenten Mangel“) hat.
Zusammengefasst bedeutet dies, dass der Käufer beim Verbrauchsgüterkauf in Zukunft nur noch behaupten muss, dass sich innerhalb von sechs Monaten ein Mangel gezeigt hat und dieser von der vertraglich vereinbarten oder der üblichen Beschaffenheit abweicht.
Alles andere obliegt dem Verkäufer. Dieser muss nicht nur die Vermutungen „erschüttern“ (eine abweichende logische Erklärung für den Mangel beibringen), sondern er muss den sogenannten vollen Beweis des Gegenteils erbringen. Ihn trifft also die Pflicht nachzuweisen, dass die Sache zum Zeitpunkt der Übergabe absolut mangelfrei war und nicht einmal ein in der Entstehung begriffener Sachmangel vorgelegen hat.
Dieser Beweis wird in der Praxis nur sehr schwer zu erbringen sein.
Der BGH erkennt allerdings zwei Ausnahmen vom Eingreifen der Vermutungswirkung an:
1. Zunächst greift sie nicht ein, wenn der Verkäufer nachweisen kann, dass der Ursprung des Sachmangels in einem Handeln oder Unterlassen des Käufers nach der Übergabe begründet liegt. Hierzu zählen klassische Bedienungsfehler wie beispielsweise eine unsachgemäße Schaltweise des Käufers.
2. Es verbleibt dem Verkäufer nach wie vor die Möglichkeit sich auf die Unvereinbarkeit der Vermutung mit der Art der Sache oder der Art des Mangels zu berufen. Wenn in diesen Fällen die Vermutung nicht eingreift, dann liegt die volle Beweislast wieder auf Seiten des Käufers. Die Annahme der Unvereinbarkeit der Vermutung mit der Art der Sache oder Art des Mangels kann häufig bei elektronischen Bauteilen angenommen werden, da diese typischerweise jederzeit kaputt gehen können.
Allerdings wird es in der Praxis kaum umsetzbar sein das gesamte Fahrverhalten und den Umgang des Käufers mit dem Fahrzeug in den ersten sechs Monaten nachzuhalten, um im Zweifelsfall auf eine fundierte Tatsachengrundlage zurückgreifen zu können.
Die Abwehrmöglichkeiten von unberechtigten Gewährleistungsansprüchen sind somit durch die Rechtsprechung faktisch bis an die Grenzen einer sechsmonatigen Haltbarkeitsgarantie eingeschränkt worden.
BGH, Urt.v. 12.10.2016- VIII ZR 103/15
AO
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